Kriminalstatistik geschönt? Staatsanwälte widersprechen Polizeipräsident
Nach unserer KLARTEXT-Sendung stellte die Opposition auch noch die neuesten Zahlen von 2014 in Frage und wedelte mit der aktuellen Statistik im Parlament.
Björn Lakenmacher (CDU)
Innenausschuss Brandenburg
"Und alles, was gelb ist, meint, das hier eine geringere Anzahl an Kriminalitätsbelastung ist und da sehen sie hier, da ist eine Direktion immer gelb."
"Immer gelb", damit meint der Abgeordnete Lakenmacher die Polizeidirektion West. Und tatsächlich ist nach unseren neuesten Recherchen auffällig, dass dort die Anzahl der Straftaten drastisch nach unten ging. So waren es in den Monaten Januar und Februar 2014 rund 3.000 weniger im Vergleich zum Vorjahr.
Polizeipräsident Arne Feuring erklärt der Presse den Rückgang der Straften mit einem Ausnahmefall: einem Postdiebstahl mit tausenden Geschädigten.
Wir gehen seinem Beispiel nach.
Der Postvertrieb in Stahnsdorf, im Gebiet der Polizeidirektion West. Hier wurden nach und nach rund 2.500 Pakete und Postsendung gestohlen. Und weil die Diebstähle immer am gleichen Standort waren, trug die Polizei alle Fälle als nur einen einzigen Fall in die Statistik ein, gemäß einer internen Dienstanweisung, eben dieser, die KLARTEXT kürzlich öffentlich machte und die Experten kritisierten. Die brandenburgische Dienstanweisung widerspräche den bundesweiten Richtlinien. Nach der wären es richtigerweise rund 2.500 Fälle, weil 2.500 Geschädigte. Mit "Tateinheit" begründet der Polizeipräsident den Brandenburger Alleingang.
Arne Feuring
Polizeipräsident Brandenburg
"In der Handlungsanweisung ist die Rede davon, wenn ich kriminalpolizeiliche Erkenntnisse habe, die darauf hindeuten, dass ich einen engen, zeitlichen und räumlichen Zusammenhang habe, die darauf Rückschlüsse zulassen, dass es sich um einen Täter mit einem einheitlichen Handlungswillen handelt, dann habe ich es mit einer Straftat zu tun."
Eine eigentümliche Auslegung.
Brandenburger Staatsanwälte kritisieren erstmalig öffentlich den Umgang der
Brandenburger Polizei mit der Statistik.
Ralf Roggenbuck
Bund Brandenburger Staatsanwälte
"Zum Beispiel bei Einbrüchen, die in einer bestimmten Gegend begangen worden sind, wo wir früher immer einzelne Verfahren bei einzelnen Objekten, in die eingebrochen ist, gesehen haben, ist es jetzt vermehrt so, dass diese Taten vermehrt in eine Tat zusammengefasst werden und wir nur eine Anzeige kriegen und die dann in einem Verfahren haben. Das bedeutet, dass die Straftaten weniger im Land sind, weil letztendlich doch in fünf verschiedenen Häuser eingebrochen wurde, aber wir nur ein Verfahren haben. Statistisch gesehen ist dadurch die Kriminalität zurückgegangen. Aber sauber wäre es, jede einzelne dieser einzelnen Taten auch als einzelnes Verfahren zu führen."
Im Fall des Postdiebstahls gab es dann jedoch eine jehe Wendung. Und wieder zum Zweck einer schöneren Statistik. Diesmal allerdings, um die Aufklärungsquote zu verschönern, meint ein Insider aus Polizeikreisen, der unerkannt bleiben muss.
KLARTEXT
"Wie meinen Sie das?"
Informant
"Zunächst hatte man den Post-kommt-weg-Fall nach bekannter Manier zu einem Fall eingedampft. Dann gab es die glückliche Aufklärung des Falles, es war tatsächlich nur ein Täter. Und man hätte also nur einen Fall als aufegklärt zu den Akten nehmen können."
KLARTEXT
"Und was passierte dann?"
Informant
"Da die Aufklärungsquote denkbar schlecht war, wurden in Potsdam aus verschiedenen Dienststellen (z.B. auch von der Wasserschutzpolizei) Beamte abgestellt, die zu jedem einzelnen Päckchen im Nachhinein eine Strafanzeige erfassten und dem Täter zuordneten. Dadurch erzeugte man Hunderte aufgeklärte Fälle."
Ein absurdes Verfahren.
Fazit: Erst treibt man die Statistik runter. Aus vielen Fällen wird einer. Ist der Täter ermittelt, treibt man sie wieder hoch, weil dann die Zahl der aufgeklärten Fälle und damit die Aufklärungsquote steigt. Eine Statistik die offenbar zurechtgebogen wird, wie es passt.
Für die Direktion West heißt das: Wäre man beim Postdiebstahl bei einem Fall – und später bei einem "aufgeklärten" Fall - geblieben, wäre die Aufklärungsquote bei 11.167 Kriminalfällen Anfang 2013 51,4 Prozent gewesen.
Dadurch, dass man aber nun 2.500 aufgeklärte Fälle in die Aufklärungsquote mit einrechnen konnte, stieg diese auf 53,4 Prozent. Zwei Prozentpunkte Steigerung ist in diesem Fall ist eine sehr positive Meldung, nämlich: die Aufklärungsquote stieg.
Ralf Roggenbuck
Bund Brandenburger Staatsanwälte
„Uns ist aufgefallen, dass die letzte Zeit vermehrt bei Verfahren getrickst worden ist seitens der Polizei und zwar will ich Ihnen ein einfaches Beispiel bilden. Wenn Sie betrunken Auto fahren, keinen Führerschein haben und das Fahrzeug nicht pflichtversichert ist, ist es eine Straftat, eine tateinheitliche Straftat, die wir gemeinsam anklagen und in letzter Zeit ist uns aufgefallen, dass aus einem Verfahren drei gemacht worden sind. Das heißt also für die Polizei theoretisch, drei aufgeklärte Fälle, die Staatsanwaltschaft aber nur einen Fall angeklagt hat. Das heißt konkret, dass getrickst worden ist, da eine höhere Aufklärungsquote ist und deswegen die Differenz zwischen den Zahlen sich ergibt.“
Der Abgeordnete Björn Lackenmacher verlangte am Montag Akteneinsicht in den Vorgang zur Erfassung der Kriminalstatistik bei der Polizeiführung. Über den Inhalt der 47 Ordner darf er nicht reden. Nur so viel: Für ihn ist es eine merkwürdige Auslegung der Bundesrichtlinie. Ein neues Gutachten eines unabhängigen Professors, das demnächst öffentlich vorgestellt wird, bestätigte ihn.
Björn Lakenmacher (CDU)
Innenausschuss Brandenburg
„Der Gutachter stellt hier fest, dass die Kritik, die wir geübt haben, berechtigt ist und das mit den Handlungsanweisungen Brandenburgs erheblich von den bundeseinheitlichen Richtlinien abgewichen wurde. Damit wurden die Kriminalstatistiken in Brandenburg verschönt und sollten verschönt werden und die Aufklärungsquoten sollten schlicht und ergreifend nach oben getrieben werden.“
Kurz vor der Sendung erfahren wir nun, dass die Brandenburger Polizisten seit ein paar Tagen wieder eine neue interne Handlungsanweisung verpasst bekamen. Diesmal gleich für alle Direktionen. Die alte, von KLARTEXT veröffentlichte und in der Kritik stehende, sei außer Kraft. Die neue hält sich jetzt übrigens weitgehend an die bundesweiten Richtlinien. Na geht doch!
Björn Lakenmacher (CDU)
Innenausschuss Brandenburg
"Ich interpretiere das als eine Form des Sich-Ertappt-Fühlens. Und das ist ja die Flucht nach vorne mit der neuen Handlungsanweisung. Man will die Geschichte jetzt schnell in Vergessenheit geraten lassen. ich bin aber der Meinung, so schnell kann man das nicht ad acta legen. Ich bin der Meinung, hier sollten auich personelle Konsequenzen folgen."
Beitrag von Gabi Probst