Keine Klimmzüge: Standards für Polizeischüler gesenkt
Die Anforderungen für Bewerber an der Polizeifachhochschule in Brandenburg werden heruntergeschraubt - um ausreichend geeignete Bewerber zu finden.
Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) will am heutigen Freitag in der Fachhochschule der Polizei in Oranienburg (Oberhavel) „Rekordzahlen bei Polizeianwärtern“ verkünden, wie es in einer am Donnerstag eilig verschickten Mitteilung seines Sprechers heißt. „Brandenburg wird allein in diesem Jahr insgesamt 400 Polizeianwärter einstellen – so viele wie noch nie seit Gründung des Landes“, heißt es darin. Doch um das überhaupt zu erreichen, sind nach PNN-Recherchen die Anforderungen an die Bewerber gesenkt worden – sowohl beim Sport als auch beim Eignungstest. Beim Sporttest können die Bewerber jetzt zwischen einzelnen Disziplinen wählen. Männer müssen keine drei Klimmzüge mehr absolvieren. Sie können sich beim Körperkraftcheck jetzt entscheiden zwischen 20 Liegestützen, Unterarmstützen, Medizinballwerfen oder Bankdrücken. Dieselbe Auswahl gilt für Frauen, aber mit niedrigeren Anforderungen. Zuvor waren für sie zehn Liegestütze vorgesehen. Statt Dreierhopp und Pendellauf können Bewerber bei Schnelligkeit nun zwischen Schlussweitsprung, Wandsitztest, Seilspringen und dem sogenannten Kastenbumerangtest – eine Art Mini-Kampf- Bahn – aussuchen. Für Koordination stehen zur Auswahl: Hüftaufzug, Kopfstand, Seilklettern oder Balkenlauf mit Medizinball. Auch beim Ausdauerlauf wird weniger gefordert. Statt 2000 Meter in 9 Minuten und 20 Sekunden bei den Männern bis 29 Jahren sind nun binnen zwölf Minuten 2400 Meter zurückzulegen. Offenbar hat dieses Nachsteuern beim Sport bislang wenig gebracht. Darauf würden die bisherigen Durchfallzahlen hindeuten, wie es von der Fachhochschule hieß. Dies soll jetzt genauer untersucht werden. Auch beim Auswahltest am Computer – bei dem Mathematik, Logik und Persönlichkeit geprüft werden – sind die Standards gesenkt worden. Bislang wurden die Bewerber nach dem Test in sieben Eignungsstufen eingeteilt. Um im Bewerbungsverfahren überhaupt weiterzukommen, mussten Bewerber für den mittleren Dienst hier die Stufe vier erreichen. Diese Vorgabe ist bereits im vergangenen Jahr auf Stufe zwei gesenkt worden. Auch beim gehobenen Dienst wurden die Anforderungen von Stufe vier auf drei abgeschwächt. Im Klartext: Die Standards für Sozialverhalten und Umgang mit Stress wurden herabgesetzt. Auffälliges Verhalten oder Bewerber mit problematischer Persönlichkeit würden nun eher Polizeischüler. Erst im weiteren Verlauf der Ausbildung könnte dann bei Auffälligkeiten nachgesteuert werden. Zunächst sollen aber alle Stellen für Polizeischüler besetzt werden können, hieß es. Bei den Altersgrenzen soll ebenfalls nachgesteuert werden – mit Rückendeckung der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Denn der Wettbewerb zwischen Bund und Ländern um Nachwuchs ist hoch, das Personal soll dringend aufgestockt werden. Manch geeigneter Bewerber von Mitte 30 mit Lebenserfahrung sei bislang abgelehnt worden. Künftig sollen Bewerber für den mittleren Dienst 37 und ein halbes Jahr alt sein dürfen, für den gehobenen Dienst 39 Jahre und für den höheren Dienst 40 Jahre und sechs Monate. Ob die Pläne des Innenministeriums umgesetzt werden können, ist noch unklar. Bislang sperrt sich nach PNN-Informationen das Finanzministerium. Immerhin ist Brandenburgs Polizei als Arbeitgeber beliebt. Während in den Vorjahren bis zu 4500 Bewerber gezählt wurden, sind es pro Jahr mittlerweile 6000. Zum Herbst sollen 224 Anwärter eingestellt werden. 330 Bewerber haben dafür die Eignungstests bestanden. Das Innenministerium ließ einen Fragenkatalog der PNN zu den geänderten Standards weitgehend unbeantwortet. Eine Senkung der Einstellungsanforderungen sei nicht zu erkennen, sagte ein Sprecher nur. Er verwies auf eine Stellungnahme der Fachhochschule zur Aufhebung der Mindestkörpergröße von 1,60 Meter für Frauen und 1,65 Meter für Männer. Demnach gebe es „keine Absicht“, Einstellungskriterien zu verändern. „Allerdings ergibt sich die Notwendigkeit, aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen“, teilte die Schule mit. Daher seien inzwischen Tätowierungen in einem bestimmten Umfang zulässig. Zu den Sporttests hieß es, man wolle damit „dem breiten Spektrum polizeilicher Tätigkeiten im Alltag entsprechen“. Aber auch die GdP räumt ein, dass die Standards gesenkt worden seien, um überhaupt noch ausreichend geeignete Polizeischüler zu finden. „Es werden Standards abgebaut, weil die Not sehr groß ist und Brandenburg nicht viele Pfründe hat, mit denen es gegenüber anderen wesentlich attraktiveren Dienstherren wuchern kann“, sagte der Innenexperte der CDU-Landtagsfraktion, Björn Lakenmacher, den PNN. „Wer vor drei Jahren mit seinen Leistungen und Eignung niemals in den Polizeidienst in Brandenburg eingestellt worden wäre, der hat nun Chancen.“ Lakenmacher warnte, mit einem Absenken der Kriterien drohten Qualitätsverluste im Polizeidienst. Der Druck ist offenbar groß. Deshalb hat Polizeipräsident Hans-Jürgen Mörke auch durchgesetzt, dass nun Bundeswehrsoldaten an der üblichen Polizeiausbildung vorbei mit verkürzter Schulung eingestellt werden sollen. Bei den Fachleuten in der Polizei selbst trifft das auf Widerstand, auch bei der GdP. Lakenmacher: „Eine solche Schnellbesohlung wird den hohen Anforderungen im Polizeidienst nicht gerecht. Polizeidienst hat mit dem Dienst bei der Bundeswehr sehr wenig gemein.“